Vom Mittelmeer zum Atlantik

Mit dem Rennvelo vom Mittelmeer zum Atlantik, dieses Projekt hatten sich die VCler Erwin, Küsu und Ändu vorgenommen. Als Fahrer konnte VC-Urgestein Urs gewonnen werden, zusätzlich stiess noch Manfred (Präsident des Cyclists Club Bern) dazu. Die Route geplant, das Eicher-Bussli reserviert, die Unterkünfte gebucht - alles perfekt. Naja, fast...leider verbrachte Ändu in den Wochen vor unserer Reise mehr Zeit in Spitälern als auf dem Velo und musste schlussendlich auf die Reise verzichten. Nochmals gute Besserung, Ändu! Als Ersatz stiess Beat, seines Zeichens eifriger Bahn-Gümmeler in Grenchen, noch zur Truppe.

 

Strand von Argelès-sur-Mer
Strand von Argelès-sur-Mer

Am 21. August ist es dann soweit, Abfahrt in aller Hergottsfrühe Richtung Perpignan.

Mit relativ wenig Verkehr spult unser Eicher-Bus die 800km bis nach Argelès-sur-Mer ab. Empfangen werden wir in einem 1-Stern-Luxushotel  mit Rasenteppich und Plastikstühlen. Henu, wir sind ja nicht wählerisch. Nach einem kurzen Spaziergang am Meer (die Berge der Pyrenäen im Blick ergänzen die Fleischberge am Strand unheimlich gut) und einem leckeren Abendessen mit etwas zu langer Wartezeit gibts relativ früh Bettruhe. Wir wollen ja nicht schon mit einem Schlafmanko in die erste Etappe starten.

Verpflegungspause auf dem Col de Palomère
Verpflegungspause auf dem Col de Palomère

22.August: Argelès-sur-Mer – Mosset
Die Routenplanung gibt 95km mit knapp 2000Hm vor, ein angenehmer Einstieg bei strahlendem Sonnenschein. Nach einer Stunde einrollen in der Fläche erreichen wir die ersten Ausläufer der Pyrenäen. Der Col de Llauro, Col de Fourtou und der Col de Xatard sind alle unter 800m hoch und verdienen den Namen „Col“ eigentlich nicht. Die Aufstiege sind allerdings wunderschön – kaum Verkehr und inmitten von Bäumen, die hin und wieder den Blick auf die Küste freigeben. Als Höhepunkt des ersten Tages wartet der Col de Palomère mit gut 1000m – auch hier sehen wir praktisch keine Autos, das Rauschen der Bäume im Wind begleitet uns aufwärts. Oben wartet Urs mit Sandwiches und kaltem Cola, der Service ist auf Champions-League-Niveau. Nach der verdienten Abfahrt drehen Manfred und Küsu noch eine Runde auf ein kleines Hochplateau, während Erwin und Beat direkt ins Kaffee nach Catllar rollen. Als endlich die ganze Gruppe im Kaffee sitzt, bemerkt man dann doch noch die Abwesenheit von Urs – ein kommunikationstechnischer Faux-Pas, er war nicht über unsere Pause informiert gewesen. Der Fehler ist schnell behoben – nach gefühlten 100 Kaffees, Bieren und Colas für 20 Euro nehmen wir die letzten Höhenmeter unter die Räder. Unsere Unterkunft ist am Fuss des Col de Jau, welchen wir am Folgetag erklimmen werden, und wartet mit einem lustigen Gastgeber und einer wunderbaren Aussicht.

23. August: Mosset - Tarascon-sur-Ariège

Von den 1200m Höhenunterschied zum Col de Jau haben wir glücklicherweise schon am Vortag ein paar Meter abgespult. Speziell im oberen Teil ist die Strasse schlangenähnlich angelegt und macht richtig Spass – das Highlight des Tages wartet aber noch auf uns.
Nach den beiden kleineren Pässen Col de Garabeil (1262m) und Col de Moulis (1099m) dürfen wir uns endlich am Col de Pailhères, mit seinen 2001m einer der vier Zweitausender der französischen Pyrenäen versuchen. Ein gigantisch schöner Pass! Im mittleren Teil recht steil, weist das im oberen Teil winzige Strässchen eine unheimlich schöne und spektakuläre Streckenführung auf. Winzige Serpetinen und grössere Haarnadelkurven machen den Pass zu einem der Highlights unserer Tour.

Col de Pailhère
Col de Pailhère

Während Erwin und Beat nach einer Kaffeepause in Ax-les-Thermes direkt zum Etappenort Tarascon-sur-Ariège radeln, nehmen Küsu und Manfred noch den Col de Chioula (1435m) und den Col de Marmare (1361m) unter die Räder, um dann via der Route des Corniches ins Ziel zu kommen.
Im Zielort angekommen, scheinen die Hoteliers das Apéro bereits mehrmals eingenommen zu haben – es folgt ein etwas mühsames Einchecken in einem schmuddeligen Hotel. Zum Glück sind wir nur eine Nacht hier...

Auffahrt zum Col d'Agnes
Auffahrt zum Col d'Agnes

24. August: Tarascon-sur-Ariège - Aucazein
Auch heute gehts wieder direkt nach dem Frühstück bergauf. Mit 8-10 % Steigung fahren wir erst wenig aussichtsreich durch kleine Ansiedlungen von Tarascon hinauf zum Col de Port (1249m). Lediglich die letzten 200 Höhenmeter sind wirklich schön und bieten eine grandiose Aussicht.
Während nach der Abfahrt in Massad unten Kaffee und Cola auf den Rest der Gruppe warten, wählt Manfred den kleinen Umweg über die sausteile Mur de Péguère (425 hm auf 3,6 km) und den Col de Portel (1465m). Nach seinen Erzählungen ist der Rest der Gruppe froh, diese Zusatzschlaufe ausgelassen zu haben. :) Leidenschaft kommt halt von Leiden.
Gestärkt folgt dann ein weiteres Highlight, der Col d’Agnes (1580m). Auf einer kleinen Strasse mit kaum Verkehr macht das Radfahren auch bei 8.10% Spass. Die Sonne scheint wie bisher jeden Tag auf uns runter und beleuchtet die tolle Aussicht auf der abwechslungsreichen Auffahrt. Bitte mehr davon, das ist einfach schön. Nach einem Abstecher über den Col de Latrape (1110m) folgt das Tagesdessert, der Col de la Core (1395 m) . Erwin, welcher in Massad direkt nach Seix gefahren war, war bei diesem Aufstieg auch wieder dabei. Auf 15 Kilometer werden knapp 900 Höhenmeter überwunden, dabei zieht die Straße ziemlich gleichmäßig mit 6 - 8 % aufwärts, in der oberen Hälfte immer an einem Bergrücken entlang. Vom Radmagazin „Tour“ als Einsteigerberg bezeichnet, verlangt uns der Core bei mittlerweile klar über 30 Grad alles ab. Kaum Schatten und fehlender Wind sind die grössten Gegner, so dass manch einer sogar beim Bergbach neben der rauhen Strasse kurz eine Abkühlung sucht. Zum Glück wartet oben wieder Urs mit kühlen Wasser, Cola und ein paar Basler Läckerli – ein Genuss!

Am Abend dann ein weiteres Highlight – wir sind bei einer Familie einquartiert, die uns unglaublich herzlich empfängt und alles in Bewegung setzt, damit wir in einem Restaurant in der Nähe (es hat nicht wirklich viele) zu einen Znacht kommen. Der Innenhof, die Zimmer, es passt alles.

Auffahrt zum Col de Mente
Auffahrt zum Col de Mente

25. August: Aucazein – Arreau
Wie gehabt startet auch heute der Tag direkt mit einem Pässchen. Der Col du Portet d'Aspet (1069m) wartet als Vorspeise in der Morgensonne. Die Fahrt hinauf ist abwechslungsreich durch kleine Pyrenäendörfer, die Abfahrt dann
sehr steil. Wie steil, macht auch der Gedenkstein für den an der Tour 1995 verstorbenen Fabio Casatelli deutlich. Wir halten kurz an und weisen dem Ex-Profi die Ehre, bevor wir etwas langsamer den Rest der Abfahrt in Angriff nehmen.
Mitten in der Abfahrt liegt die Abzweigung zum Col de Mente (1349 m), quasi unser 2. Gang heute. Es wartet ein wahres Kurvenfeuerwerk, etliche kleine, enge Kehren begeistern beim Aufstieg wie auch bei der Abfahrt. Ein toller Pass. Nach einem seltenen, 20km-langen Flachstück bewundern wir in Bagnères-de-Luchon noch die Blumenkunstwerke an der Fête des Fleurs, bevor uns als als Hauptgang der Col de Peyresourde (1569 m) serviert wird. Der Name ist hier jedoch klangvoller als der Aufstieg selber. Zwar wieder kurvenreich, dafür auch einer etwas grösseren Strassen, sind nur die letzten Kilometer wirklich Genuss-Kilometer. Die Passhöhe erreicht man mit 3 Traversen, welche schon von weitem sichtbar sind. Auf der Passhöhe kann man Richtung Westen den Anstieg zum letzten Pass des Tages, dem Col de Val Louron-Azet, bereits erkennen.

Erwin und Beat entscheiden sich nach der Abfahrt, direkt zu unserem Tagesziel Arreau zu fahren, während Manfred und Küsu noch das Dessert geniessen wollen. Etwas steiler mit durchschnittlich 10 % steigt die schmale Straße mit einer herrlichen Aussicht auf den Col de Val Louron-Azet. Oben angekommen, offenbart sich eine beeindruckende Rundumsicht auf die Gipfel der Pyrenäen.

Sicht vom Col de Val Louron-Azet
Sicht vom Col de Val Louron-Azet
Die bevorstehende Abfahrt von Col de Tourmalet - yaaayyyyy
Die bevorstehende Abfahrt von Col de Tourmalet - yaaayyyyy

26. August: Ruhetag

Zumindest wäre das der Plan gewesen. Da jedoch das Wetter heute nochmals mitspielt und am Folgetag etewas Regen angesagt ist, stellen wir unser Programm um. Mit dem Col de Tourmalet steht der König der Pyrenäen auf dem Programm, und den würden wir dann doch lieber bei schönem Wetter geniessen. Also nochmals:

26. August: Arreau - Argelès-Gazost

Bei leichter Bewölkung starten wir direkt mit der Auffahrt zum Col d'Aspin. Bereits von weit unten kann man die Passhöhe erkennen, die kurvenreiche Strassenführung und zum ersten Mal auch mehrere andere Radfahrer machen den Aufstieg sehr kurzweilig. Auf dem Pass werden wir von einer Herde Kühe begrüsst, welche die Strasse in Beschlag genommen haben. Küsu hat Glück, dass der Anstieg nicht all zu lang und streng ist, hat er doch seine Bidons im Eicher-Bus vergessen. Tja, wers nicht im Kopf hat...

 

Nach einer kurzen Abfahrt folgt der höchste Pass unserer Tour: Der legendäre Tourmalet. Die Fahrt hinauf müssen wir uns allerdings hart erarbeiten, sind doch relativ viele Autos auf dem steilen Anstieg unterwegs. Nicht selten sind 10% Steigung über längere Segmente zu bezwingen, was auch mit der kleinsten Übersetzung kein Spaziergang ist. Umso grösser die Genugtuung, als wir alle 4 oben ankommen, mit mehr oder weniger Reserven in den Beinen. Es wimmelt von Radfahrern und Touristen, jeder möchte noch ein Foto mit dem Pass-Schild. Nach 5 Tagen auf dem Rad gehts nun nur noch 40km runter nach Argelès-Gazost, um am Folgetag die Beine hochzulegen.

 

27. August: Ruhetag

Blick vom Col de Soulor in Richtung Aubisque
Blick vom Col de Soulor in Richtung Aubisque

28. August: Argelès-Gazost - Bedous

Die ersten 35km kennt die Routenplanung wieder fast nur eine Richtung, nämlich aufwärts. Manfred und Küsu fahren über den Col de Bordères (1156m) nach Arrens, während Erwin und Beat direkt den Col de Soulor (1474m) in Angriff nehmen. Ein megaschönes Strässchen mit (ich weiss, ich wiederhole mich) kaum einem Auto - ein Genuss, solche Pässe zu fahren. Und auf dem Soulor angekommen, sehen wir das Sahnehäubchen des Tages: Die Traverse zum Col d'Aubisque. Keine echten Randbegrenzungen, die enge Strasse wurde direkt in den steilen Hang gehauen. Die Aussicht ist einfach atemberaubend!

Anschliessend folgen knapp 30km Abfahrt und als letzter Pass des Tages der Col de Marie-Blanque (1035m), welcher auch oft von der Tour de France überquert wird. Mehr als ein müdes Lächeln ringt uns dieser Hügel aber nicht mehr ab - wir sind glückselig, der Tag war der Hammer.

Aufstieg zum Col d'Aubisque mit Blick zum Col de Soulor
Aufstieg zum Col d'Aubisque mit Blick zum Col de Soulor
Blick vom Col de Pierre St. Martin Richtung Norden
Blick vom Col de Pierre St. Martin Richtung Norden

29. August: Bedous - Saint-Jean-le-Vieux

Der Tag der unbekannten Pässe. Oder wem sagt der Col de Bouesou, Col de Labays oder Col de Bagargui etwas? Der alte Fuchs Erwin warnt zwar, dass die Pässe ohne grosse Namen die wirklich Killer seien - aber hey, wir hatten bisher alle grossen Berge bezwungen, was sollten uns da diese Hügel noch fordern.

Muahahaha, der Pässe-Gott muss sich da fürchterlich ins Fäustchen gelacht haben.

Bereits der Col de Bouesou (1009m) ist ein Satansbraten. 7.8km mit 7% Steigung klingt recht angenehm, die unzähligen Rampen mit 12%-13% machen den Aufstieg aber bereits zu einem Kampf. Der Col de Labays (1351m) ist dann nicht sehr steil, dafür mit einer frisch gekiesten Strasse eine Herausforderung. Der noch feuchte Teer zusammen mit den Kieselsteinen führt zu unzähligen Absteigern, um das Hinterrad und/oder die Bremse wieder von den klebenden Plagegeistern zu befreien. Merde! Der Abstecher zum Col de Pierre St. Martin fährt sich dann auf eine perfekten Strasse herrlich und die laaaaaaange Abfahrt ins Tal lässt die Strapazen des Vormittags etwas vergessen. Mit dem Col de Bagargui (1327m) steht die letzte Challenge unserer Tour an, er gilt als der härteste Pass der Pyrenäen. Bereits die Anfahrt nach Larrau wartet mit zweistelligen Prozentzahlen, die Mittagspause und das gewohnte exzellente Sandwich von Urs ist bereits hart erarbeitet. Überraschenderweise gehts dann erst mal wieder 100Hm abwärts, bevor die Strasse mit 4-5% gemächlich durch den Wald zieht. Bis zur ersten Haarnadelkurve, dann ist es leider finito mit gemächlich.  5km bis zum Gipfel, aber noch 550Hm ausstehend - wie soll das funktionieren? Dass es hart werden würde, hatten wir erwartet...es wurde aber noch schlimmer. Drei Kilometer mit durchschnittlich 12 und mehr Prozent, dazu immer wieder Rampen mit 16%. Die mitunter schöne Aussicht nehmen wir kaum noch wahr, zu gross ist der Kampf, das Pedal ein weiteres Mal nach unten zu drücken. Die Flachstücke weisen 10% auf und scheinen schon fast flach, während man auf die nächste Rampe zufährt. Längst wird die ganze Breite der Strasse ausgenutzt, es muss ein erbärmlicher Anblick sein. Es ist Urs hoch anzurechnen, dass er nicht jeweils ins lautes Lachen ausbricht, wenn wir uns an seinem Bus vorbeimühen. Man problemlos Zeitlupenaufnahmen in Echtzeit machen, es ist mühsam. Die Kilometer werden dann doch irgendwie weniger, und plötzlich steht da das letzte Kilometerschild mit 7%. Geschafft, es wird flach! Aber der Bagargui wäre nicht der König der Arschloch-Pässe, hätte er sich nicht auch hier noch eine kleine, perfide Gemeinheit ausgedacht. Nach den ersten 700m, die relativ gut zu fahren sind, wartet vor dem Passschild nochmals eine Rampe mit 11%. Oben angekommen, versuchen wir irgendwie Haltung zu bewahren und nicht direkt vom Rad zu fallen. Was für eine Quälerei, selten so gelitten. Dass uns eine Ziege in den Bus steigt und einen Teil unserer Vorräte frisst, passt da irgendwie ins Bild.

Das letzte Pässchen des Tages (Der wunderschöne Col de Burdincurucheta)  macht dann eher mit der Buchstabierung als mit dem Anstieg Probleme, und auch die Abfahrt zum letzten Etappenort Saint-Jean-le-Vieux absolvieren wir angeführt von Lokomotive Manfred noch zügig. Selten war das Bier so verdient und so lecker. Auf der VC-Skala wäre das wohl eine 10-Bier-Etappe geworden. Mindestens!!!

Aufstieg zum Col d'Ispeguy
Aufstieg zum Col d'Ispeguy

30. August: Saint-Jean-le-Vieux - Bidarte

Der letzte Tag, mit 75km und 1200Hm die kürzeste Etappe, ist nach dem Vortag die reinste Kür. Wiederum Sonne und bereits beim Start 20°, so lieben wir es. Die beiden kleinen Pässe, der empfehlenswerte Col d'Ispeguy und der Puerto de Oxtondo, nehmen wir quasi als Vorfahrer des Vuelta-Feldes, welches ein paar Tage nach uns genau diese Strecke befahren wird. Auf dem Ispeguy zieht auf der Passhöhe die Wolkendecke direkt über die Strasse und sieht von weitem wie Zuckerwatte aus.

Col d'Ispeguy
Col d'Ispeguy

Die letzten 30 Kilometer geniessen wir dann einfach noch, bis die Luft plötzlich leicht salzig riecht und wir das Meer erkennen. Mit den Velos direkt zum Strand, Schuhe aus und ab ins Meer. Wir habens geschafft, 800km mit 20'000Hm. Jeden Tag Sonne und kurz/kurz, keine Stürze, keine Defekte, gefühlt 1000 kleine Steine zwischen den Bremsklötzen (davon geschätzte 980 bei Beat), viel Wein und Bier - es war ein unglaublich tolles Erlebnis, dass wir jedem Radfahrer nur ans Herz legen können.

 

Erwin, Küsu, Manfred, Beat und Chauffeur Urs