Wenn die Berge rufen...

Einmal jährlich verbringt die VC-Familienbande John, Pädu, Erwin und Markus ein verlängertes Wochenende zusammen auf dem Velo. Während 2017 die Region um den Mont Ventoux als Zielort ausgewählt wurde, war diesen Herbst das Maurienne-Gebiet an der Reihe.

Nach einer frühen und problemlosen Anfahrt erreichten wir Sainte-Marie-de-Cuines gegen Mittag. Die Mietwohnung war noch nicht bezugsbereit, also starteten wir bei bewölktem Himmel direkt zur Ausfahrt. Das erste Highlight wartet nach nur wenigen Kilometern, die Lacets de Montvernier. Bekannt aus der Tour de France, schlängelt sich hier die Strasse über 18 Haarnadelkurven den Hang hinauf. Nur 4 km lang mit 350Hm, aber unglaublich schön zu fahren. Und dank der sehr schmalen Strasse quasi autofrei! Was für ein Genuss.
Danach bot sich die Weiterfahrt zum Col de Chaussy an, auf ebenfalls kaum befahrenen Strassen. Mit 1530m unserer erster richtiger «Col» des Wochenendes. Nach einer kurzen Abfahrt mündet die Strasse kurz nach Montaimont wieder in die D213, welche hinauf zum Col de la Madeleine führt. Dieser Anstieg war dann etwas weniger angenehm zu fahren – die Steigung ändert immer mal wieder und das Wetter zeigte sich nicht von seiner Sonnenseite.
Auf der Passhöhe (2000m) war dann leider nichts von den umliegenden Bergen zu sehen, dafür blies ein kalter Wind im Nebel. Bei der Abfahrt spürte man dann die kalte Luft trotz Ärmlingen, Beinlingen, Regenjacke, Windstopper und Handschuhen immer noch recht gut. Es war fast ein Geschenk, unten im Tal endlich nicht mehr runter fahren zu müssen.
Nach dem Bezug unserer Wohnung und einer Pizza zum Abendessen (es wird für immer Johns Geheimnis bleiben, weshalb es sich eine Vegi-Pizza bestellte) gings dann relativ früh ins Bett.

Am zweiten Tag ist aufgrund des unsicheren Wetters eine Fahrt zum Col de Glandon und dem nur 2km entfernten Col de la Croix de Fer geplant. Am Fusse des Glandon einquartiert, haben wir aber keine Anlaufzeit: 20km, 1400Hm war unser Programm gleich zum Start. Glücklicherweise war vor uns eine Gruppe gestartet, die tempomässig relativ gemütlich unterwegs war. So konnte man während des ganzen Aufstiegs immer mal wieder andere Radfahrer überholen, moralisch äusserst wertvoll. Der untere Teil des Glandon fährt sich sehr schön, eine konstante, nicht zu steile Steigung und ein paar Sonnenstrahlen machen den Aufstieg zum Vergnügen. Allerdings sahen wir nach ca. einem Kilometer auch einen Fahrer, der schon dort nahe am Kreislaufkollaps fuhr, mit geschätzten 3km/h. Müssten wir wetten, so würden wir wohl alles Geld daraufsetzen, dass er immer noch nicht oben angekommen ist.
Nach rund der Hälfte wurde dann immer deutlicher, dass nur wenige Tage vor unserer Ankunft eine gewaltige Gerölllawine das Tal hinuntergerutscht sein muss. Das Bachbett ist ausgewaschen, die Ufer teilweise weggerissen. Die nun begonnenen Aufräumarbeiten erschweren auch den Aufstieg, ob in Form von schmierigen Strassen oder unzähligen Baumaschinen. Auf den letzten paar Kilometern zeigt dann auch noch der Glandon seine Zähne, am Ende warten 2-3 zähe Rampen. Wohl dem, der noch ein paar Reserven in den Beinen hat. Auch hier wartet auf der Passhöhe Nebel, der jedoch gerade bei der Weiterfahrt zum Croix de Fer langsam verschwindet. Es entsteht eine grandiose Stimmung…
Nach einer kleinen Stärkung in der Bergbeiz folgt dann die kilometerlange Abfahrt, bevor wir bei der Abzweigung zum Col du Mollard links halten und lieber noch die Region um Pierrepin erkunden wollen. Die Strasse ist jedoch gesperrt, auch hier hat die Natur ein Wort gesprochen. Also wieder retour und doch über den Mollard – wir wollten ja Pässe fahren, und mit nur rund 500Hm zusätzlich ist auch dieser Umweg machbar. Es wird ein sehr schöner Aufstieg, wiederum praktisch ohne Verkehr…und oben wartet ausnahmsweise kein Nebel!

Über viele Haarnadelkurven düsen wir wieder ins Tal runter. Auch an diesem Tag bleiben wir trocken, auch wenn unser Wetterschmöcker-Präsi etwas anderes vorausgesagt hat.
Die Pizzeria lassen wir heute links liegen und wählen ein kleines Lokal in Fussnähe. Das Essen ist klasse, die Bedienung verdient aber den Namen eigentlich nicht und lässt Butler James aus «Dinner for One» wie ein Profi erscheinen.

Die Königsetappe wartet dann am Sonntag: Der Col de Télégraphe und der Col du Galibier müssen dran glauben. Die ersten 25km fahren wir im Tal nach Saint-Michel-de-Maurienne, wo mit perfektem Timing die Sonne zu strahlen beginnt. Yes, endlich stimmt auch das Wetter! Und das Profil des Télégraphe macht das Velovergnügen perfekt. Mit viele Serpentinen und nie ganz steil erklimmt man die Höhenmeter fast mit Leichtigkeit und spürt beim grossen Skifahrer fast ein wenig Wehmut, dass dieser schöne Anstieg schon zu Ende ist. Aber eben, es wartet ja noch der Galibier!
Nach Valloire geht es zunächst gemächlich hoch, die Strasse schlängelt sich dem Tal entlang. Nach gut der Hälfte des Anstiegs folgt dann das Ende der Gemütlichkeit, nach einer scharfen Rechtskurve werden die Steigungsprozente zweistellig. Nach den drei Haarnadelkurven erreicht man wieder ein Plateau, und ganz weit hinten kann man bereits die Passhöhe sehen. Leider sieht man auch schon den letzten Kilometer, der auch nochmals ganz fies steigt. Aber mit dem Ziel vor Augen fährt es sich schon wieder etwas leichter, und oben angekommen fühlt man eine Mischung aus Freude, Stolz und Erschöpfung. Wunderbare Emotionen; wer selber schon mal eines der grossen Monumente erklommen hat, kann sicher mitfühlen.
Küsu verschätzt sich dann in seiner Zeitplanung etwas und glaubt, er könne in vernünftiger Zeit noch zum Col de Lautaret runterfahren und wieder zum Galibier rauf. Die Beine sind jedoch etwas langsamer, als dies in der Vorstellung der Fall war, so dass die 3 Velokollegen ne ganze Weile auf dem Gipfel warten müssen. Die gute Aussicht und die strahlende Sonne machen die Warterei zumindest etwas erträglicher.
Die Abfahrt nach Valloire und nach einem Sandwich-Stopp auch ins Tal sind ein Genuss, die Kilometer fliegen nur so dahin. Die Fahrt zurück zur Unterkunft dauert dann wegen zwei Umständen noch etwas länger: Erstens pfeift uns der Gegenwind unbarmherzig ins Gesicht, so dass jeder Kilometer ein Kampf wird. Und Zweitens wollen wir es uns nicht nehmen lassen, auch bei Sonne nochmals die Lacets zu befahren. Auch die 2. Fahrt Richtung Montvernier ist wunderschön, wir geniessen jede Kehre.

Am nächsten Morgen heisst es schon, Abschied zu nehmen. Allerdings haben wir noch einen weiteren Anstieg, der auf der Liste steht: Die Alpe d’Huez! So fahren wir zuerst mit dem Auto nach Bourg-d’Oisans, um die 21 Kehren zu bezwingen. Der Anstieg beginnt sehr steil und bewegt sich dann zwischen 7-9%...und man teilt sich die Strasse vielen anderen Radfahrern. Oben angekommen, setzen wir uns in die Sonne und geniessen ein Kaffee…so muss das Leben sein. Im gegenüberliegenden Shop werden dann noch schnell ein paar Euros für Trikots und T-Shirts rausgehauen. Küsu hat dann die Ehre, die Kleider in einer Tasche ähnlich der Verpflegungstaschen in den Zeiten von Beat Breu für den Rest der Tour an Rücken zu tragen.
Anstatt direkt wieder ins Tal zu fahren, schnappen wir uns den letzten «Col», den Sarenne und düsen auch mehr oder weniger guten Strassen retour nach Bourg-d’Oisans. Die letzten 5km offenbaren die leeren Batterien, es geht nicht mehr viel…

That's it von unseren 4 Tage VC-Familienferien, es war ein tolles Erlebnis. 2019 wird es, sofern die Gesundheit mitspielt, sicherlich wieder einen Ausflug geben.